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COM_Zeithistorische-Diskurse.xml 14.9 KiB
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        <title>Themenkommentar „Zeithistorische Diskurse der 1950er Jahre in Österreich“
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          der digitalen Edition der Tagebücher von Andreas Okopenko</title>
        <author>
          <persName xml:id="DH" ref="https://orcid.org/0000-0001-6293-216X"
              ><surname>Hebenstreit</surname><forename>Desiree</forename></persName>
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        <funder xml:id="FWF" ref="http://d-nb.info/gnd/2054142-9"><name type="org">Fonds zur
            Förderung der wissenschaftlichen Forschung</name>
          <abbr>FWF</abbr>
          <idno xml:id="p28344">P 28344 Einzelprojekte</idno>
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          <persName ref="https://orcid.org/0000-0003-2197-1706"
              ><surname>Innerhofer</surname><forename>Roland</forename></persName>
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        <edition>version 1.0</edition>
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            <ref target="http://www.onb.ac.at">Austrian National Library</ref>
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            <street>Josefsplatz 1</street>
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        <pubPlace ref="http://www.geonames.org/2761369/">Vienna</pubPlace>
        <date type="lastChanged">2018-12-13</date>
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          <licence target="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/">
            <p>Distributed under the Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 International
              license (CC BY-SA 4.0)</p>
          </licence>
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        <idno type="PID">o:oko.com-zeithistorische-diskurse</idno>
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        <p>Born digital.</p>
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      <div>
        <head rend="h1">Zeithistorische Diskurse der 1950er Jahre in den Tagebüchern Andreas
          Okopenkos</head>
        <div>
          <head rend="h2">Diskussionen um die „Jugend“</head>
          <p>Für junge Autorinnen und Autoren in Österreich war es nicht leicht, im Literaturbetrieb
            der 1950er Jahre Fuß zu fassen. Nicht nur bei der Suche nach
            Veröffentlichungsmöglichkeiten und Verlagen bestanden Schwierigkeiten (<rs
              ref="#Okopenko-Gesammelte_Aufsätze_und_andere_Meinu-2000">Okopenko 2000, 14</rs>),
            sondern die junge Generation war auch mit dem Vorwurf konfrontiert, in ihren
            literarischen Werken keine aktuellen politischen und gesellschaftlichen Probleme
            aufzunehmen und darzustellen. Auch wenn es einerseits Versuche im österreichischen
            Literaturbetrieb gab, junge AutorInnen zu entdecken und zu fördern, führten gleichzeitig
            deren Experimente mit neuen literarischen Ausdrucksformen, die durch eine steigende
            Rezeption moderner Literatur angeregt wurden, zu Widerstand und Protesten von Teilen der
            Öffentlichkeit. (Siehe auch <ref target="#o:oko.com-literarische-netzwerke"
              >Themenkommentar Literarische Netzwerke</ref>)</p>
          <p>In mehreren österreichischen Zeitschriften wurde Anfang der 1950er Jahre über die
            „Jugend“ und mit der Jugend diskutiert. Dabei ging es um verschiedene Themen, die die
            junge Generation betrafen – neben den spezifisch literaturbezogenen Auseinandersetzungen
            spielten auch Liebe, Freundschaft oder Moral eine Rolle. Der „Jugend“ waren eigene
            Rubriken oder Artikelserien gewidmet – dazu zählten u.a. mehrere Rubriken in der
            Zeitschrift „<rs ref="#Theater_der_Jugend-neue_wege-0000">Neue Wege</rs>“ („Der Jugend
            das Wort“, „Junge Autoren“ oder „Die Jugendseite“), die Rubrik „Tribüne der Jugend“ in
            der „<rs ref="#Unknown-Welt_am_Montag-0000">Welt am Montag</rs>“, die dortigen „Glossen“
            von Hans Weigel oder die von Reinhard Federmann betreute Artikelserie „Junge Menschen –
            heute“, die ab 11.4.1950 in der „Welt am Montag“ erschien. Auch die im Herbst 1950 in
            der „<rs ref="#Unknown-Arbeiter-Zeitung-0000">Arbeiterzeitung</rs>“ geführte „Diskussion
            um die Dichterjugend Österreichs“ ist ein Beispiel dafür. Beiträge dazu kamen z.B. von
              <rs ref="#Hubalek-Klarheit_nach_beiden_Seiten_Zum_Ab-1950">Felix Hubalek</rs> oder <rs
              ref="#Weigel-Autoren_die_uns_nicht_erreichen_Zur_-1950">Hans Weigel</rs>. (Siehe auch
              <ref target="#o:oko.com-medien">Themenkommentar Medien</ref>)</p>
          <p>Die Tagebücher Andreas Okopenkos dokumentieren, wie er selbst an solchen öffentlichen
            Auseinandersetzungen teilnahm. Mehrere frühe Leserbriefe, die Okopenko verfasste, sind
            durch die Tagebücher eruierbar. Manche dieser Leserbriefe – von ihm selbstbewusst
            „Artikel“ benannt – wurden sogar zitiert, z.B. Okopenkos Ausführungen zu Ehe und Moral
              <rs ref="#Okopenko-Beitrag_zu_Junge_Ehe_und_eine_alt-1949">(Welt am Montag,
              19.12.1949)</rs>, sein <rs ref="#Okopenko-Mehr_Rücksicht_-_aber_worauf-0000"
              >Beitrag</rs> zur Diskussion über Rücksicht und Höflichkeit <rs
              ref="#Okopenko-Beitrag_zu_Endlich_einmal_-1950">(Welt am Montag, 24.4.1950)</rs> oder
            seine Meinung zur Verlobung <rs ref="#Okopenko-Beitrag_zu_Es_sind_noch_mehr_dage-1950"
              >(Welt am Montag, 3.7.1950)</rs>.</p>
          <p>Auch die Entstehung erster essayistischer und literarischer Texte Okopenkos, die die
            Debatte um die „Jugend“ aufnahmen, ist in den Tagebüchern dokumentiert. Dazu zählt das
            Gedicht „<rs ref="#Okopenko-Die_blaue_Dissertation-1950">Die blaue Dissertation</rs>“,
            das im März 1950 in der Zeitschrift „Neue Wege“ erschien. Okopenko reagierte damit auf
            einen im Februarheft 1950 publizierten <rs
              ref="#Braunsperger-Vom_Schweigen_der_Jugend-1950">Kommentar</rs> von Hubert
            Braunsperger, der das Schweigen der Jugend als Folge des Zweiten Weltkrieg erklärt
            hatte, der zu einer Betonung des Intellektuellen und einem starken Gefühl der
            Verantwortung geführt hatte, aber auch zu Nihilismus und fehlenden Idealismus der jungen
            AutorInnen. <hi rend="quote">Diesem Standpunkt setzte ich ein Gedicht entgegen, das mir
              nur so aus der Feder floss</hi>, schrieb Okopenko <ref
              target="#o:oko.tb-19500301-19500331?mode=p_9">am 4. März 1950</ref>. Sein Tagebuch
            enthält auch mehrere <ref target="#o:oko.tb-19500301-19500331?mode=p_13">Entwürfe</ref>
            der „Blauen Dissertation“. </p>
          <p>Im Gegensatz zur Anschuldigung, junge AutorInnen würden keine wichtigen Fragen der
            Gegenwart aufgreifen, enthalten Okopenkos frühe Texte sehr wohl eine Beschäftigung mit
            aktuellen Themen. Deutlich wird dies u.a. an seiner Auseinandersetzung mit Krieg und
            Atomgefahr, die den Gedichten „<rs ref="#Okopenko-Korea-1952">Korea</rs>“ oder „<rs
              ref="#Okopenko-Prolog_zum_Weihnachtsfest-1949">Prolog zum Weihnachtsfest</rs>
            inherent ist. Das letztere Gedicht, für das Okopenko im Dezember 1949 ein Honorar von 10
            Schilling bekam (siehe <ref target="#o:oko.tb-19491219-19500104?mode=p_27"
              >Tagebucheintrag vom 28.12.1949</ref>), fand großen Anklang auf der ersten Tagung
            junger AutorInnen, die von dem „Neue Wege“-Redakteur Franz Häußler am 16.1.1950 in Wien
            organisiert wurde. Es wurde auch bei einer Veranstaltung der „Neuen Wege“ am 25.2.1950
            gelesen, über die sich Okopenko in seinem Tagebuch entsetzt zeigte: <hi rend="quote"
              >Eine gesellschaftliche Veranstaltung, aber keine 'Neuen Wege'.</hi> (<ref
              target="#o:oko.tb-19500213-19500228?mode=p_35">Tagebucheintrag 25.2.1950</ref>). </p>
          <p>Meinungsverschiedenheiten über literarische Stile gab es jedoch nicht nur zwischen den
            Generationen, sondern auch innerhalb der Generation junger AutorInnen selbst. Deutlich
            wird das an der Forderung des 1925 geborenen Herbert Eisenreich nach „Mehr Zucht“, der
            in seinem gleichlautenden Artikel (Neue Wege, 1951/03, Bd. 63, 238–239) Kritik an einer
            „Verluderung der Begriffe“, „Unklarheit des Denkens“ und „Unzucht der Gefühle“ übte. Zur
            literarischen Auseinandersetzung Okopenkos mit Herbert Eisenreich, der nicht nur in der
            zeitgenössischen Diskussion des Surrealismus eine ablehnende Haltung vertrat, sondern
            Okopenko in einem dem Tagebuch beiliegenden <ref
              target="#o:oko.tb-19520101-19520229?mode=p_11">Brief</ref> auch mehr Nähe zum
            Realismus empfahl, geben die Tagebücher wichtige Anhaltspunkte.</p>
          <p>Die Diskussion des Schweigens der Jugend ergänzte Eisenreich mit dem Hinweis darauf,
            dass sich junge AutorInnen auch um ihr Mittagessen kümmern müssten (Neue Wege, 1950/03,
            Bd. 53, 476). Diese Diagnose spielte auch für die schriftstellerische Laufbahn Okopenkos
            eine Rolle. Seine frühe Entwicklung als Autor ist in den Tagebüchern der 1950er Jahre
            dokumentiert. Nach den ersten literarischen Anfängen war Okopenko aber immer mehr mit
            seiner beruflichen Tätigkeit ausgelastet und fand zunehmend weniger Zeit zum Schreiben.
            (Siehe auch <ref target="#o:oko.biography">Biografie</ref>)</p>
        </div>
        <div>
          <head rend="h2">Diskussion um „Schmutz und Schund“</head>
          <p>Ein zentraler Bestandteil der Diskussion um die „Jugend“ war die Befürchtung, bestimmte
            Literatur und Filme könnten einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung von jungen
            Menschen in Österreich ausüben. Bedenken gab es hinsichtlich des Konsums von
            Liebesromanen, Comics sowie Filmen, die in Zusammenhang mit Erotik und sexueller
            Aufklärung standen. Nicht nur katholische Initiativen und pädagogische Institutionen,
            sondern auch politische Organisationen und Lehrkräfte forderten, den Konsum und die
            Verbreitung solcher Werke einzuschränken und zu kontrollieren. Von der damaligen
            Regierung wurde daher das „<ref
              target="https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblPdf/1950_97_0/1950_97_0.pdf">Gesetz
              zum Schutz der Jugend</ref>“, das sogenannte „Schmutz- und Schundgesetz“ erlassen, das
            am 14. Mai 1950 in Österreich in Kraft trat.</p>
          <p>Okopenko registrierte diese Debatte nicht nur in seinem <ref
              target="#o:oko.tb-19500501-19500531?mode=p_30">Tagebuch</ref>, sondern reagierte
            bereits ab 1948 mit eigenen Kommentaren, die in den Tagebüchern genannt werden: darunter
            die „<rs ref="#Okopenko-Stellungnahme_zum_SchundSchmutz_Ge-0000">Stellungnahme zum
              Schund/Schmutz</rs>“ oder „<rs
              ref="#Okopenko-Aktuelles_zum_Schmutz-_und_Schundges-1950">Aktuelles zum Schmutz- und
              Schundgesetz</rs>“, wo er den Profit der ProduzentInnen sowie die fehlende
            Auseinandersetzung in der Erziehung kritisierte. </p>
          <p>Die Schmutz- und Schund-Diskussion verdeutlicht aber auch, wie in der österreichischen
            Nachkriegszeit moralische Befürchtungen mit inhaltlich-stilistischen Aspekten verknüpft
            wurden. Anhand der Tagebücher Okopenkos wird sichtbar, welche Auswirkungen die „Schmutz
            und Schund“-Diskussion auf Texte junger AutorInnen in Österreich hatte (siehe auch <ref
              target="#o:oko.com-literarische-netzwerke">Themenkommentar Literarische
              Netzwerke</ref>). Ein Beispiel dafür ist die Beschwerde der ehemaligen
            ÖVP-Nationalratsabgeordneten Nadine Paunovic, die im Hinblick auf Okopenkos „<rs
              ref="#Okopenko-Gedicht_in_Prosa-1950">Gedicht in Prosa</rs>“ moralische Bedenken
            ausgesprochen und sich bei der Redaktion der „Neuen Wege“ beschwert hatte. </p>
          <p>Okopenko, der selbst Teil des dortigen „Arbeitskreises junger Autoren“ war, besprach
            die dadurch entstandene Situation mit seinem Kollegen Friedrich Polakovics und bereitete
            einen Brief an <rs ref="#Häußler_Franz">Franz Häußler</rs> und die Redaktion der „Neuen
            Wege“ vor. Der Brief vom 21.6.1950, der am Literaturarchiv erhalten ist (Teilvorlass
            Andreas Okopenko, Sign. 269a/05), vermittelt die moralisch geprägte Diskussion, die
            Anfang der 1950er Jahre im österreichischen Literaturbetrieb geführt wurde. Okopenko
            wehrte sich in seinem Schreiben eindringlich gegen den Vorwurf, in seinem Gedicht eine
            „leichtfertige Lebensauffassung“ und eine „Herabsetzung der Frauenpersönlichkeit“
            propagiert zu haben. Gegen diese Anschuldigungen führte er verschiedene, von ihm selbst
            verfasste Texte sowie seine Leserbriefe aus der „Welt am Montag“ an, in denen er sich
            für eine bessere Verständigung der Geschlechter ausgesprochen hatte.</p>
          <p>Auch wenn sich Häußler Anfang der 1950er Jahre als Redakteur der Zeitschrift „Neuen
            Wege“ für junge AutorInnen eingesetzt hatte, beschwerte sich Okopenko in seinem <ref
              target="#o:oko.tb-19501122-19510127?mode=p_5">Tagebuch</ref> schon im November 1950
            über die „Hofräte“, die sich Urteile über die Literatur der jungen Generation erlaubten.
            Ende 1953 kritisierte er mit seinem Beitrag „<rs
              ref="#Okopenko-Die_verdächtige_Ordnung-1953">Die verdächtige Ordnung</rs>“ öffentlich
            die Art von Literatur, die in den „Neuen Wegen“ veröffentlicht wurde (siehe <ref
              target="#o:oko.tb-19540114-19540226?mode=p_21">Tagebuch Januar 1954</ref>). </p>
          <p>In seinen Tagebüchern sind auch Filme als Teil der „Schmutz und Schund“-Debatte
            dokumentiert, etwa wenn er mit Ernst Kein und H.C. Artmann über amerikanische
            Schundfilme sprach (siehe <ref target="#o:oko.tb-19500501-19500531?mode=p_19">Eintrag
              vom 23.5.1950</ref>) oder wenn er nach einem Kinobesuch am <ref
              target="#o:oko.tb-19530616-19531228?mode=p_67">6.7.1953</ref><rs
              ref="#Werner-Gefahren_der_Liebe_Möte_med_livet-0000">Gefahren der Liebe</rs>
            kommentierte.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
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