Tagebuch von Andreas Okopenko, 25.08.1952-14.09.1952 - Digitale Edition Okopenko Andreas TezarekLaura HerberthArno HebenstreitDesiree EnglerthHolger Digitalisierung HerberthArno Transkription HebenstreitDesiree Formale Codierung HebenstreitDesiree Semantische Codierung HebenstreitDesiree Stellenkommentar HebenstreitDesiree Korrektur EnglerthHolger TezarekLaura Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung FWF P 28344 Einzelprojekte InnerhoferRoland Version 2.0 Austrian National Library
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o:oko.tb-19520825-19520914
Vienna Austrian National Library Literary Archive 399/W159 AC14414252 Z148514407 Papier 90 Blatt Tagebuchheft mit Beilagen Von Andreas Okopenko mit Schreibmaschine geschriebener Text. Von Andreas Okopenko mit der Hand geschriebener Text. Von unbekannter Hand handschriftlich geschriebener Text.

Tagebuch

1952

AOk

2 60

Tagebuch

von Mo, 25 8 52

bis So, 14 9 52

Montag, 25. August 1952:

Bei fast herbstlichem Wetter auf die Linzer-straße.

Geschrieben.

Nachmittag die "Untrüglichen" von Chris Marker fertiggelesen.

Lieber Doktor Jirgal, wie haben Sie nur schreiben können, ich solle es wie Chris Marker versuchen.

Dieser Mensch ist doch trefflich, und ich kann höchstens ein Getroffener sein.

Er legt mich auf die Waage, und ich finde mich zu leicht.

Über Briggi nach-gedacht. -

Letzter Urlaubstag. Abends im TTagebuch51 einen Besuch Majas gesucht.

WB kam abends.

Gingen spazieren.

Er erzählte mir von früher.

Briggi muß vielen im Leben gewesen sein. Nur Wweniges davon muß ihr ein Erlebnis bedeutet haben.

Briggi muß mit vielen gegangen sein. Nur weniges davon wird ihr wesentlich geworden sein.

Di, 26.8.52:

Früh erstmals wieder ins Büro gefahren. Nachsommerlich oder vorherbstlich.

Briggi und Karl Schik getroffen, geplaudert. Briggi war wieder fort gewesen, in Italien, und hatte sich viel angesehen.

Im Büro alles freundlich. Neuer Büroräume in Aussicht.

Ziemlich viel gearbeitet, aber nicht gerade müde heimgekommen.

Mi, 27.8.52:

Früh begann ich den "schlechtgefesselten Prometheus" von André Gide zu lesen.

Nicht mit Briggi gefahren.

Im Büro lebhaft gearbeitet.

Stimmungskurve
. Gegen Nach-mittag wurde es warm.

Abends Begegnung auf der Straßenbahn.

Letzte Fotos langten ein.

Angenehmer Abend. Konkretere Träume.

Do, 28 8 52:

Früh warmer Wind.

Briggi getroffen; abends auch davon gesprochen.

Angenehmer Abend.

Briggi fühlt sich ausgeglichener und ist viel hübscher wieder. Sie hatte auch ein liebes Kleid an: grellblau, hauchdünn, mit weißer Rosette.

Fr 29 8 52:

Briggi nicht getroffen, obwohl gesucht.

Früh, wie in allerletzter Zeit überhaupt, angenehme Stimmung.

Abends Dienst.

Nach dem Büro lieh ich Briggi die zwei Bücher Gide u. Chris Marker.

Sa 30 8 52:

Ekelhafte Stimmung im Büro, vor allem durch Huber. Sie ist ein armer Teufel, keine Minute ohne ihre Abwehrstellung.

Recht erlöst vom Büro heim.

Ich ließ es mir gut gehen und machte Ordnungen. Arbeitete die "Skizzen vom

Eine Fabrikarbeiterin erzählte Paul, dass das abendliche Vögeln sie beim Romanlesen behindere.

Auf den Rat einer Freundin, sie solle dem Geliebten ihren Hintern bieten, vögele sie von nun an so, während sie ihre Romane liest.

Sie sei aber auch damit nicht zufrieden: "Beim Stossen verliere ich immer die Absätze", sagt sie, "und muss bei den spannendsten Stellen von vorn anfangen."

30 8 52

September" fürs hypothetische Bändchen um.

Gearbeitet bei Wein, wenn auch von Saufen wie früher nicht mehr die Rede sein kann. ("Saufen" in früherer Zeit: nicht was Menge anlangt, sondern aber Methodik.)

Abends kurzer Spazier-gang in Steinhof, unruhig, Fenster.

So, 31 8 52:

Früh im Bett, in angenehmer Frische, am Bändchen-Manuskript weiter-gearbeitet: Abgelegte Sachen zur Änderung hervorgeholt.

(Erste Sonnenwärme, Fräulein Dxxx u.s.w.usw.)

Letzte 2 Tage: Nach-Hundstage.

Vormittag mit Kein in den Garten.

Sehr anregend gesprochen, sogar mit Methode. (Jirgal-Ergebnisse weitergeführt.

Über jene Dichtung, die "eindeutig die Pole legt", zwischen denen sich die Reaktion im Leser abspielen soll, und jene, die die Reaktion selbst vorzeigt.

Über das hemmung-lose Assoziieren, das ungerichtete, wie bei Joyce, wie in der Dichtung von Altmann,Weißenborn, gesprochen.

Uneindeutigkeit, Unwesentlichkeit. Über persönliche Assoziationen zwischen Konkretem und Abstraktem, über allgemeingültige solche Bezüge, endlich über Entsprechungen ohne Gefühl für den Bezug: die Symbole, (die etwas Erstarrtes vorstellen).

Über Jünger, die Eitelkeit .....

Nm. Ergänzungen zum Bändchen ausgearbeitet.

Abends Fenster, geplaudert, Regen.

Montag, 1. September:

Kein angenehmer Tagesbeginn: getrübte Stimmung wegen der schweren Büro-woche.

Die letzten Tage unter Herrn Witzmann Neuordnung im Büro: Kopplungs-geschäfte unter seiner Kontrolle. Ich muß jetzt mit ihm arbeiten. (Anderseits bedeutet das natürlich einen "Aufstieg".)

Dienstwoche.

Hitchman aus Zürich kam.

Fini kam vom Land zurück.

Di 2 9 52:

Holte mir gestern endlich das Geld von der RAVAG.

Früh Friseur. -

Kühler als im August, immerhin noch spätsommerlich.

Ein Buch über moderne Papierkunde langte im Büro ein. Ich las abends Farben-lehre.

Abends Platzregen.

Daheim angenehm. Post: Jirgal sandte 20.- für die "publika-tionen" ein.

Einladungen Matejka, Hakel ("keine Qualtingeri-ade").

Weißenborn kündigte mir die Freundschaft, weil mir seine letzten Gedichte nicht gefallen haben. -

Gutes Hörspiel von Hakel u. Danneberg nachts gehört.

Mi 3 9 52:

Herbstlich graue Landschaft.

Die Blätter aber sind noch grün.

Viel und verschieden-artige Arbeit im Büro.

Phloroglucin kam an. Versucht, Muster-Skalen herzustellen.

5 Uhr kam Hitchman. Ich mußte bis zuletzt im Büro bleiben; Ich hatte Glück, es dauerte nur bis 3/4 7.

Die Abende sind schon kühler, kürzer.

Mittags hatte ich etwas Zeit, ich ging in den Stadtpark spazieren.

Do 4 9 52:

Matrizen gekauft.

Viel Arbeit im Büro. Stänkerei mit Huber. Schwachsinnige Arbeit (Musterkollektionen.)

Sehr froh über den Abend.

Fr 5 9 52:

Letzter Bürotag dieser Woche.

Häßlich viel Arbeit.

Nach dem Büro in die Kärntnerstraße. Art Club - Hakel.

Dort viele getroffen: Moldovan, Mayröcker, Fritsch, Egger; lernte Freiberg kennen. Arbeitbesprechung fürs Wien-Buch.

Fritsch lud mich für kommenden Freitag ein. Mit Mayröcker noch ein Stückerl gegangen. Dann mit Fritsch und Egger in ein Espresso. Eindrucksvolles Mädchen, vollkommen starr und maskiert.

Egger hat gute ABissigkeiten geschrieben. Er macht den Eindruck eines desillusionierten Gutmütigen. Er ist kein Zyniker über den man schimpfen kann. Er hat sehr müde Augen.

Sa 6 9 52:

Frei.

Früh Wäsche geholt.

Und eingedenk des Zauber-Wortes besann er sich, und er begann /denn ringsum lebte nur Verdorrtes/ und riss die Grenzen nieder

Schwarze Wolken am Westhimmel. Holte mir Kinokarten für Sonntag und Dienstag im Flötzersteig-Kino.

Es war ein guter Nachmittag. Ich arbeitete fleissig am Bändchen, wir tranken Rum und Wein, viel.

6 9 52
(Sa 6 9 52)

Möchte gern eine Prosa über das Espresso-Mädchen schreiben.

Konzentrierte meine Arbeit aber (diszipliniert ..) aufs Bändchen.

Habe heute viele Gedichte aus meinem Bändchen-Manuskript ausgemistet. Eine Art Haarausfall.

Leider sind fast alle positiven Mädchen-Gedichte aus dem Frühjahr 50 der Säuberung geopfert.

Ergebnis: Ich muss von vorn anfangen.

Tags, 7 9 52
So 7 9:

Abends im Flötzersteig-Kino amerikanischer Film "Die zweite Mutter". Ich werde mir ameri-kanische Filme jetzt gar nicht mehr anschauen. Vollkommen uninteressantes Thema, Problem läßt absolut kalt.

Hofrat Maucka getroffen. Abends Rohscheiben.

Mo 8 9:

Etwas lustloser Wochenbeginn.

Russengeschäfte im Büro.

Viel Arbeit.

Abends zu Matejka in die Sezession (DDR-Buchausstellung mit Vorträgen). Aufschlußreich.

Traf den seinerzeitigen Mystifikanten "Erich Kneis" mit den "grüngewürmten" Gedichten. Er hatte die "publikationen" auf die Probe stellen wollen. Solche Menschen sind es, die einen ins Konzentrationslager bringen.

Di 9 9:

Seit gestern kalt. Früh nur plus 6°.

Briggi getroffen.

Sie borgte die Bücher Inge weiter.

Briggi hat jetzt einen roten Regenmantel an, fühlt sich zufrieden.

Im Büro Matrizen geschrieben. Brief an Kneis.

Auch fürs Büro viel gearbeitet.

Abends bei anhaltendem Allerheiligenwetter ins Kino: "Lichter der Großstadt" mit Charly Chaplin. Trotz aller Trefflichkeit viel von der expressionistischen Bedrückendheit darin.

Mayröcker schickte Arbeiten ein.

Nachmittags große selbstkritische Anwandlungen.

Mi 10 9:

Früh mit Briggi gefahren. Bücher zurückbekommen, etwas versaut.

Briggis Bruder malt macht surrealistische Zeichnungen zur Mystifikation der zünftigen Modernen, zum Beleg des Satzes "das kann ich auch".

Mich begeistert die ganze chaotische Art wenig, selbst vom Könner Moldovan.

Es wird freilich zweierlei mit bewiesen: Jeder genug h enthemmbare Mensch kann im Rahmen seiner Fertigkeiten surrealistisch arbeiten (Allgemein-Menschlichkeit des Minderbewußten) -

Es gibt unter den Extremen genug Mittelmäßige im Können oder Dilettanten, die nur durch den Weg, nicht durch die Intensität frappieren. Und nur die Intensität ist Persönlichkeit-Zeichen, der Weg kann ist Sache der Wahl, und kein Meisterstück, wenn die Umgebung diese Wahl nahe-liegend macht.

- Es wäre auch ein Wunder, wenn ausgerechnet unter den Modernen jeder gültig wäre, wo es unter den Anderen nur jeder Tausendste ist.

Büro. Tante fährt morgen in ihren Urlaub.

Abends gutes Essen, Wein.

Es ist interessant, daß Briggi aus-gerechnet jene Stellen im Buch von Chris Marker angezeichnet hat, deretwegen ich das Buch ihr geliehen hatte. (Hélène .....)

Do 11 Sept 52:

Nach anstrengendem Dienst im Büro fuhr ich in die Adamsgasse. Beobachtete Besoffene am Rückweg.

Fr 12 Sept:

Büro: Buchhaltung-blätter über die Kopplung-geschäfte angelegt. Wurde mit der Erprobung des Reflexion-messers betraut.

Bei Blitz und Donner (herrlicher roter Horizont gegen grauen Regenhimmel) zu Fritsch gepilgert.

Dort gesund angekom-men, sehr freundlich empfangen.

Fritschs haben Zimmer und Mansarde in einem Einfamilien-haus, Jägerhausgasse 33.

Angenehm gesprochen, er ist mir keinesfalls entfremdet worden. Las neue Arbeiten von ihm. Lieh mir zwei Bücher von Benn aus.

Spät (mit Gedanken unterwegs) heim.

Sa 13 Sept:

Büro ermüdend. Naturpapier noch nicht besorgt (Pol.).

Nm. Unerwartet kam Artmann. Erzählte viel von der Schweiz. Mit Geld noch nichts (siehe Bericht).

Fährt in einer Woche wieder zurück.

Unangenehmer Abend. Nur Benn gelesen.

So 14 Sept:

Bierhäuselberg. Wetter erwartungsvoll wie im Vorfrühling!

Angenehme Autobusfahrt. Nur vormittags konnten wir arbeiten, also nur 5 Seiten verviel-fältigt. Kein war dort. Er dissertiert über Kleinkunst.

Es ging lustig zu, wir neckten uns.

Nachmittag schön ausgeruht. Benn. Größere Ordnungen gemacht.

Abends wurde mir der Tag zu kurz. Aber morgen ist wieder, unbarmherzig, Büro.