Tagebuch von Andreas Okopenko, 04.08.1952-24.08.1952 - Digitale Edition Okopenko Andreas TezarekLaura HerberthArno HebenstreitDesiree EnglerthHolger Digitalisierung TezarekLaura Transkription TezarekLaura Formale Codierung TezarekLaura Semantische Codierung EnglerthHolger Stellenkommentar EnglerthHolger Korrektur HebenstreitDesiree Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung FWF P 28344 Einzelprojekte InnerhoferRoland Version 2.0 Austrian National Library
Josefsplatz 1 1015 Vienna Austria
Vienna 21.11.2019

Distributed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-ShareAlike 4.0 International (CC BY-NC-SA 4.0)

o:oko.tb-19520804-19520824
Vienna Austrian National Library Literary Archive 399/W158 AC14414250 Z148514304 Papier 94 Blatt Tagebuchheft mit Beilagen Von Andreas Okopenko mit Schreibmaschine geschriebener Text. Von Andreas Okopenko mit der Hand geschriebener Text. Von unbekannter Hand handschriftlich geschriebener Text.

Tagebuch 1952

AOk

2 60

Tagebuch

von ... Mo 4 8 52

bis ... So 24 8 52

(Urlaubszeit)

Montag, 4. August 1952:

Heiß. Letzte Woche vor dem Urlaub. Mittags im Büro Notizen gemacht. Abends Post von Mathes. (Und 20.- Schilling.)

Kohle kam.

Dienstag, 5. August:

Hatte früh noch viel Zeit. Genoß diese Tatsache und arbeitete auch.

Formulare in Druck gegeben fürs Büro.

Heiß! Stadtpark mittags.

Abends Dr. Grinse-Gedicht. 46-er-Fahrt angenehm.

Mittwoch, 6. August:

Schon früh strahlend heiß.Ingeborg-Gedicht weiter.

Mittags wieder Stadtpark. Irrsinnige Arbeit im Büro.

Abends immer sehr

Der belgische Generalstreik gegen die zweijährige Dienstpflicht Rückseite des Zeitungsartikels Anfang August 52
angenehm. Gutes Essen. Ohne Hemd und Decke geschlafen.

Donnerstag, 7. August:

Früh wieder am Ingrid-Gedicht geschrieben.

(Falsch, es heißt doch Ingeborg -.)

Ordnungen im Büro. Mittags Stadtpark. Der riecht diese Tage nach Abwasser, Ölfarbe und Benzin.

Es wurde trüber, blieb aber so schwül wie gestern. Gestern war der heißeste Tag dieses Sommers.

Abends brachte mir der kleine Paddy Nachricht von Artmann. Er lebt ein paar Wochen sehr gut in der Schweiz. Erfolge bei der ersten Lesung drüben (auch für mich selber, und die "publikationen"), weitere Lesungen folgen. Er lebt bekannt-lich bei Esther.

Freitag, 8. August:

Letzter langer Bürotag vor dem Urlaub. Es war wieder eine heiße Nacht. Sehr windig.

Samstag, 9. August:

Im Büro Abschluß-arbeiten. Verab-schiedet für 16 Tage.

Heißer Tag.

Nachmittag noch Wirbel mit Tante. Ich machte Ord-nungen. Über Greguerias etwas mich etwas hinge-setzt, mehrere ausgemistet, den Rest ehrlich ab-geteilt "zur Rechten und zur Linken".

Abends "Urlaub-beginn". Backhuhn. Wein. (Erstmals wieder, ohne Begehren, seit der letzten Sauferei.)

Ich habe einen meiner literarischen, sogar kritischen, Tiefstände. Ich habe die Absicht, Tigerls 3 Junge (die alle am Leben gelassen und groß-gezogen werden in der Tillgasse) zu photographieren. Ich möchte gern Briggi eine solche Aufnahme schenken.

Wie wertlos wir sind.

Sonntag, 10. August:

Mit Jandl in den Garten gegangen. Sehr angeneh-men Vormittag verbracht. Gute Sachen von ihm gelesen. Versucht, ihm da und dort ein wenig zu helfen.

Dienstag bei Polakovics treffe ich ihn vor seiner Englandfahrt nochmals.

Nachmittags ein satirisches Gedicht fertiggemacht.

Montag, 11. August:

Zeitig morgens aufgestanden und die seinerzeitige Kurzgeschichte fertigge-schrieben (das Mädchen vom Autobus Unter Laa).

Nahm dann auf die Wiese Medea mit, sonnte mich aber großteils nur.

Waren zuerst auf die Linzerstraße gegangen, ich hatte auch photographiert.

Ich möchte gern für Hakels Wienbuch etwas schreiben.

Auch Nachmittag auf die Wiese gegangen. Ich habe das Büro längst schon vergessen. Mehrere Aufnahmen.

Abends Rohscheiben.

Dienstag, 12. August:

Vormittag Nebel, Sonne. Drückende Hitze.

Ich ging auf die Linzerstraße einkaufen, es gab reinste gelbe Fisolen.

Begrub "Medea" und "Ingeborg" unter den Fragmenten. Fehl-versuche damit nahmen den Vor-mittag ein.

Jandl sagte ab, da er morgen schon verreist.

In der Hitze nach Mittag fuhr ich Polakovics besuchen.

Sie waren etwas müde beisammen. Ich hörte beider Prosa zum gleichen Thema ("Vom Fenster eines Zinshauses aus ..."). Mein Gedicht: "Projekt" gefiel Polakovics von meinen letzten Sachen am besten. Bei Polakovics zerriß ich auch die Grinse-Gedichte von neulich.

Dann hörten wir Lyrik zweier Zeitgenossen im Radio Wien.

Es ist ein arger Abstieg vom "Stundenbuch" zu Puffler ...

(Den anderen Namen behielt ich über-haupt nicht.)

Wir stritten dann. Polakovics sprechen der Katze Charakter-züge ab. Maja, obwohl eine aufgeklärte Katholikin, hat gewisse jesuitische Eigenschaften. So diskutiert sie nie aus dem lebenden Zusammenhang sondern von vorgefaßten Theorien aus, die Gesprächsführung ist starr: sie drückt auf einen Knopf und der Zettel mit der voll-kommen geschliffenen Antwort springt heraus.

Man spricht vom Tigerl und sie geht antwortet über die Katze an sich, die wissenschaftlich erfaßt und standar-disiert ist. Alles (und das begründet den "jesuitischen" Eindruck) geschieht, um nicht in Schwierigkeiten mit der katholischen Theorie vom Tier zu kommen und eine Sünde auf diese Weise zu begehen.

Maja hat mein "Bändchen-Manuskript" gelesen, Pol. noch nicht. Sie sagt: Keines unter den Gedichten ist ganz uninteressant, an jedem ist etwas dran. Keines befriedigt wirklich. Ihr privat gefallen jene, die sie an ihre Kindheit erinnern.

Abends machte ich ein Gedicht: "Zwischen den Versuchen", das ich nächstentags wegwarf.

Es gibt Menschen, von denen man mit durchgepflügtem Gewissen kommt weil sie immer Pathos um sich verbreiten. AlsbBald entlarvt sich diese Ethik als rhetorische Sache, die man üben kann.

Wie man glockenläuten übt, nicht wie man Andacht übt.

Jandl kam trotz der Absage auf kurze Zeit zu Polakovics. Er brachte seine Übersetzung der "Preludes" von Eliot mit. Wir nahmen Abschied.

Von Zand nette Prosastücke gelesen, die ich nicht, wie seine jämmerliche "Glaskugel", verabscheue.

Den Ausflug verschoben wir auf kommenden Montag.

Mittwoch, 13. August:

Gingen auf die Linzer-straße einkaufen.

Viel Post kam.

(Jirgal, Hakel, Fischer, Dietrichs Zeitschrift).

Mit Mama in den Garten. Ich sonnte mich und ruhte mich innerlich ganz aus.

In den Nebengärten die Mädchen von Steinhof, jetzt auch die 13- oder 14-jährige Christl aus der Dr. Huber-Familie, die auf Ferien hier ist. Sie wurde von ihren Leuten mit Englisch gequält. Das hinterließ auf mich einen tiefen Eindruck.

Heißester Tag, wie man lesen kann. Ich beobachtete 32 Grad im Schatten, es hatte aber als Schattenmaximum, glaube ich, 35 Grad. -

Ich las aus der Kassandra von Weigel, ärgerte mich über Gütersloh, schrieb ein Gedicht ähnlich dem "Projekt", zerriß es ziemlich bald darauf wegen Un-menschlichkeit; richtete Material für die kommenden "publikationen" zu-sammen und freute mich an den Über-setzungen von Jandl.

Bemühte mich, "Eros Turannos" von Robinseon zu übersetzen, abends.

Abends auch nette Szenen vor der Halte-stelle: Ein Sieb-verkäufer mit großem Hut und zwei breiten ländlichen Mädchen.

Ein Ziegentreiber.

Proben von Chris Marker, auf den Jirgal mich hinwies, in einem früheren Heft der "Neuen Wege" nachgelesen.

Donnerstag, 14. August:

Vormittag kam Kein. Wir gingen in den Garten und diskutierten die letzten Ereignisse. Er kommt erst in zehn Tagen wieder.

Nachmittag allein in den Garten, nahm die Schreib-maschine mit und arbeitete an der Kurzgeschichte von der Literatka.

Noch heißer als gestern. Bier.

Schrieb die Prosa zu Ende, auch Mama kam in den Garten. Ich werde die Geschichte aber noch einmal schreiben.

Freitag, 15. August: Feiertag.

Früh lernte ich ein bißchen Englisch, schrieb dann weiter an der Kurzgeschichte und erwartete dann unsere Verwandten.

Tante sagte mir, daß im Büro jetzt unvor-stellbar viel zu arbeiten ist.

Wir gingen - es war noch heißer als gestern - in den Garten.

Auch den Nachmittag dort in der Sonne verbracht. Noch heißer als gestern.

Abends Eliot übersetzt ("Bildnis einer Dame").

Samstag, 16. August:

Bei schönem Wetter - an den Instituten vorbei - nach Grinzing gefahren. Von dort aus fuhren wir auf den Kahlen-berg und gingen weiter nach Kloster-neuburg-Weidling. Dort besoff man mich bei einem Bauern-Heurigen, also in einer sehr ruhigen Umgebung. Drei Wespen störten mich, und Paul sprach von seinen Ansichten über manches. (Es war, wie ich gelesen habe, der heißeste 37° im Schatten Tag seit 100 Jahren.) Die Gegend machte einen sehr freundlichen Eindruck; wo man in die Ebene sah, und auf die Donau, war es sogar sehr schön.

Nachmittag Eliot übersetzt ("Portrait" fertig).

Abends erstes Unwetter.

Sonntag, 17. August:

Nachts richtete das Gewitter Schaden an. Morgens danach abgekühlt.

Ich blieb heute im Haus und schrieb vormittags die Prosa fertig.

Nachmittag mistete ich literarisch aus. So gewann ich wieder etwas Rückblick-Überblick.

Natürlich kam ich auf die Briggi-Zeit zurück, die ich bis jetzt nicht übersehe. Ich bin mir über dieses Mädchen nicht klar geworden. Stimmt das? Vielleicht ist das falsch gefragt. Mitlebend habe ich sie verstanden. Und nur erklären kann ich sie vermutlich nicht.

Kann ich mich erklären?

Abends lange zum Fenster hinausgesehen. Es regnete.

Montag, 18. August:

Beim Einkaufen im Konsum traf ich wieder Christlx (Huber!), die auch einkaufen ging.

Der Polakovics-Ausflug entfiel wegen Regens. Verschiedene Besorgungen gemacht.

Eintragungen TTagebuch50 nachgeholt. Der Elektriker kam und brachte unser Licht in oOrdnung. Er war sehr bissig. -

Jirgal war nicht und nicht zu erreichen.

Ich vertelephonierte 4 Schilling. -

Nach Mittag auf die Linzerstraße. Photographien abgeholt. -

Abends in den Art Club zur Hakelbesprechung. Dort war aber nichts los und nichts zu erfragen: man schickte mich wieder heim. -

Ein gemeiner Tag!

Dienstag, 19. August:

Später aufgestanden.

Im Garten am "Bändchen" weitergearbeitet.

Einen soweit lustigen Nachmittag gemacht.

Apologie u. Kriton, Heines "Wintermärchen" und Teile aus "Atta Troll" gelesen.

Abends gutes Essen mit Salzmandeln und Wein genossen.

Ersehnte nur ein geliebtes Mädchen.

Mittwoch, 20. August:

2. Partie Photographien (besser als die 1.) von der Linzerstraße geholt u.a.Wieder trüberes und kühles Wetter.

Selected Poems von Eliot kamen mit der Post (unlängst bei Heger bestellt). Jetzt ist das Bändchen also in meinem Besitz (seit Jahren erwünscht).

Nachmittag kam Kein. (Überraschend.)

Wir unterhielten uns über verschiedenes.

(Nächste publikationen; gab ihm eine Über-setzung und eine Vervollständigung auf; Hakelbesprechung hatte stattgefunden, etwas später, sagt er.

Unterlaa-Prosa gefiel ihm.)

Donnerstag, 21. August:

Früh zur Urania gefahren, mußte Pfirsiche abholen. (von Tante.)

Vormittags aAufnahmen in Steinhof gemacht.

Abends kalt, zum Fenster hinausgesehen, Rechenschaft mir abgelegt ...

Brachte mir Cocteaus Taschentheater vormittags von der Stadt mit. Reizvoll, wie es Deutsche nie zusammen-bringen. Erotik ohne nur eine schlüpfrige Be-merkung.

Ich kenne anderseits die Nachteile der Franzosen.

Freitag, 22. August:

Früh weitere Reinschriften fürs Bändchen.

Dann zu Rohrbeck (fürs Büro), zu Tigerls ElektoElektro-werkstatt; erfuhr, daß ein junges Mädel, Arbeiterin von dort, Tigerl + 2 Junge habe. 3. Junges weitergegeben worden.

Häßliches Kopfwehwetter. So kam ich nicht zur Ausführung meines Wunsches, Tigerl für Briggi und für uns zu photographieren.

Statt demStattdem 2 Trickauf-nahmen im Garten gemacht.

Nachmittag gelesen, ausgeruht. Direktor Schenner (Baumruck) brachte Nachricht aus Rußland, wenn auch nichts von Papa selbst.

Immensee wieder gelesen. Wie immer reagiert, in Form von Tränen-ausbrüchen (zweimal).

Abends über Gedichte nachgedacht (bei schlechtem Wetter). "Herbstwind. Situationen ..."

Samstag, 23. August:

Vormittag viel geschrieben ("Bändchen" fast fertig).

Nachmittag mit Tante zu Weltsch in den Schrebergarten. Ich ging zeitiger fort, nach einigem Wein-trinken. (Wir logen ihn an und sagten, ich müsse zu einem Freund.) Es war mir nämlich lieber, heute zu hausezuhause zu sein. Vorher hatte es häßliche Bürogespräche gegeben.

Für morgen bin ich bei Jirgal eingeladen; er schrieb mir, "sein Sommer habe ihn reichlich beschenkt, wenn er ihn auch wie Hölderlin schlug".

So 24 8 52

Bei Jirgal erfuhr ich, dass eine Stunde zuvor Brigitte Kahr verabschiedet worden war, die dort einen Monat gearbeitet hatte. Tivoli ist ein Schnittpunkt.

Ich ging zu leicht angezogen. Man war besorgt, dass ich mich bei dem herbstlichen Regen erkälten könnte. Noch dazu war die Strassenbahn auf meinem Heimweg gestört.

24 8 52

Nachmittags war das Mädchen Christl aus der Dr. Huber-Familie schon nach Deutschland zurück-gefahren.

Es herbstet ein.