Autobiografische Fragmente Okopenko Andreas TezarekLaura HerberthArno HebenstreitDesiree EnglerthHolger Transkription, S. 1-6, S. 11-16 GrundtnerVerena Transkription, S. 7-10, S. 21-26 SchrettChristina Transkription, S. 17-20 FrötscherMaria Transkription, S. 27-36 KislingSaskia Kristina Formale Codierung, S. 1-6, S. 11-16 GrundtnerVerena Formale Codierung, S. 7-10, S. 21-26 SchrettChristina Formale Codierung, S. 17-20 FrötscherMaria Formale Codierung, S. 27-36 KislingSaskia Kristina Korrektur der formalen Codierung, S. 27-36 TezarekLaura Korrektur der formalen Codierung, S. 1-16, S. 21-26 HerberthArno Korrektur der formalen Codierung, S. 17-20 HebenstreitDesiree Semantische Codierung HerberthArno Version 2.0 Austrian National Library
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Vienna 21.11.2019

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o:oko.sp-1
Vienna Austrian National Library Literary Archive Nachlass Andreas Okopenko 399/W69/1, Sammlung "Autobiographische Fragmente" Papier 18 Blatt Notizen in Form loser Einzelblätter Von Andreas Okopenko mit Schreibmaschine geschriebener Text. Von Andreas Okopenko mit der Hand geschriebener Text.
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(Innerhalb "Entfaltg. u. Krise") Vorarbeit

16.1.-1.8.50 Rohaufzeichnung (aber gedanklich richtig)

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Objektive Hauptdaten

26.6. Weltpolitische Spannung entlädt sich im Korea-Krieg, aus dem man besondere Grausamkeiten hört und der zeitweise zum Dritten Weltkrieg zu werden droht.

KG

15.6. Lehne Couplet-Aktualisierung ab. (Niki schlug Seitenhiebe gegen Kommunismus und gegen moderne Kunst vor, ich bekenne mich gegen solches Sticheln und gegen das Aktualisieren überhaupt.)

Sonst kein Kontakt.

Religion

Gehe noch zur Kirche, unlustvoll, unkatholisch, aber an den Sinn des Kirchgangs glaubend. Freigeistige Gedanken gegen Predigt-Äußerungen und Zeremoniell. Die christlichen Kräfte in der Politik feinde ich an. Polakovics, der - im Gegensatz zu mir - in der Bildwelt des naiven Katholizismus befangen ist und gegen die Ordnungen ebendieser Welt in Luzifergefühl rebelliert, setze ich in der ersten Zeit oppositions-lustig meine Kirchentreue entgegen.

Studium

Nach minimalem Lernen endlich am 19.1. die Abschlußprüfung des Quantitativen Labors bestanden; am 24.1. mühelos die Aufnahmeprüfung ins Organische, am 1.3. leidlich gut das gefürchtete Kolloquimum aus Physikalischer Chemie.

1.3.-11.5. Beginn Oorganischen Praktikums: in Kabinett mit wenigen Kollegen Sonderpraktikum über Halbmikroanalyse. Ruhiger Chef, reibungs-loser Verlauf der Übungen und Prüfungen.

17.5. Beginn Oorganischen Hauptpraktikums. Freundlicher Anfang.

Das Studiumproblem ist wegen des klaglosen und interessanteren Arbeitens verblichen. Aber ich vernachlässige das Lernen und sogar das Praktikum zugunsten des literarischen Betriebs.

Den ganzen Feber, die erste Aprilhälfte und die Wochen ab 29.6.: Ferien.

Politik

Mein neuer Freundeskreis ist "fortschrittlich" gesinnt: pazifistisch, demokratisch, individualistisch, skeptisch gegen alles Erwachsene und alles was regiert, provokationsbereit, spießer- und phrasenhassend. (Am wenigsten engagiert in seinen Dcichtungen ist Artmann.) Literarisches Revoluzzertum wird gern von uns in politisches umempfunden, besonders wenn rechtsgerichtete Kreise uns angreifen.

In diese Atmosphäre passe ich gut. Besonders Kriegsangst und -haß bringen mich zu leidenschaftlichen Gedichten.

Der Kommunismus ist uns etwas entlegen. Eisenreich hat seine linkeste Zeit hinter sich, Polakovics hat sie vor sich; den anderen ists noch mehr egal. Ich gebärde mich als der Meistkommunistische von allen: etwa spreche ich, wenn ich schnell ausschreitend mit Freunden gehe, gern den "Linken Marsch" von Majakowski. In den allgemeinen Spießer- und Volksparteihaß lasse ich meinen besonderen Proletarismus einschießen.

Zugleich aber grüble ich über die Fehler des Kommunismus: Terror, metaphysische Doktrin, Einmischung in alle Sphären; uns junge Autoren stoßen die Kommunisten (erstmals im Mai?) wegen "Unverständlichkeit" und "Pessimismus" zurück. Mein Grübeln umfasst die Gefahren der Politik überhaupt und hlat in den letzten Tagen des Zeitraumes den quälenden Charakter, den dieser Tagedamals alle Grübeleien für mich haben.

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Betrieb um die "Neuen Wege"
16.-18.1.

Tagung junger Autoren. Wichtigstes Ergebnis: redaktionelle Mitarbeit der Jungen. Dies führt zu Dauerkontakt einer (fluktuierenden) Führungsgruppe (im Folgenden kurz "Gruppe" genannt) sowie künstlerischem Linksruck und Niveaugewinn der an allen Schulen verbreiteten, daher wirklich ein Forum der Jugend darstellenden Zeitschrift.

In einer Periode, da das Moderne, soweit gebracht und beachtet, durchaus in Verruf steht und für junge Autoren noch fast nichts getan wird, sind die NW Kristallisationspunkt einer neuen österreichischen Literatur. Finden eines Forums und dauernder Kontakt, in einer Zeit entscheidender Persönlichkeitsentwicklung und erster kompakter Aufnahme moderner Weltliteratur, wird für die Ajutoren der Gruppe zum prägenden und produktivierenden Ereignis.

Im einzelnen:

17.1.

Vollversammlung wählt auf Grund lyrischer Leistungen den "engeren Arbeitskreis", aus dem durch natürliche Umbildungen die "Gruppe" hervorgeht. Die bedeutsam bleibenden Mitglieder des gewählten Kreises sind: Herbert Eisenreich, Ernst Kein, Friedrich Polakovics und ich. (Meine Wahl danke ich dem PROLOG ZUM WEIHNACHTSFEST.)

Von den bald ausscheidenden Autoren ist Erika Danneberg nennenswert. Walter Toman lehnt die Berufung in den Arbeitskreis wegen Zeitmangels ab.

René Altmanns Antrag auf Duldung des Surrealismus wird nach lebhafter Debatte einstimmig angenommen; Altmann und (später) der von ihm gefeierte Hans C. Artmann, beide bisher unbekannt, werden dem Arbeitskreis als Interessensvertreter des Surrealismus beigezogen. Für weitere Sonderaufgaben wird uau.a. der Soziologe Otto Stenzl in den Arbeitskreis berufen.

Polakovics, administrativer Geist, politischer Stänkerer, schon vor der Tagung konstruktiver Opponent der Redaktion, ist vom Anfang an Wortführer der Gruppe. Seine Streitbarkeit ist unphilosophischer Natur, teils handfest, teils vernagelt, sein Wesen ist von lyrischer Affektivität und Unklarheit, gegen die er sich mit landsknechthafter Härte und handwerklicher Verstandesbetonung wehrt.

Auf Polakovics geht der Vorschlag zurück, den Arbeitskreis aus Lyrikern zu rekrutieren (freilich ist die Lyrik damals quanti- wie qualkitativ führend); so entwickelt sich hier trotz Eisenreich, der als Krausianer den Essay schätzt, trotz Stenzl und mir, die in Weltanschauung machen, in erster Linie das Gedicht.

Trotz willkürlich scheinendem Anfang dürfte der Arbeitskreis und die aus ihm sich entwickelnde Gruppe unter den NW-Autoren wirklich eine Elite an moderner Betriebsamkeit bedeutet haben, wie man im Lauf unserer Arbeit sieht.

Schon im Keim lassen sich drei Flügel der Gruppe feststellen: xden "rechten" (literarisch, versteht sich) vertreten Polakovics und Eisenreich; sie haben eine konservative Formgesinnung, Ehrfurcht vor der Sprache und alten Meistern, stehen dem Prosagedicht und vor allem der Nutzung des Automatismus distanziert gegenüber, sind jedoch gegen alle moderne Dichtung, die ihnen echt scheint, tolerant; auch sind sie zeitaufgeschlossen und suchen ihre Ideale in einer Synthese von edler Sprache und aktuellem Fühlen zu verwirklichen, nicht in epigonalem Kitsch; Polakovics ist tiefverstehender Jünger Rilkes - hat sich aber im Dichten auf den Stil der "Neuen Gedichte" festgelegt; er ist viel rhetorischer, als Rilke, seine sprachlichen Effekte sind kalt erarbeitet, das Gerührte wird abgelegt sobald es ans Dichten geht, die Intuition wird verjagt; die Inhalte werden mit hoher Perfektion zu gedanklicher Arabeske verarbeitet, ihrer Unmittelbarkeit beraubt; so lassen sie den Leser eiskalt; Eisenreichs Vorbilder sind vielfältig; im Universellen 69 sind es, wie schon gesagt, Karl Kraus und die (später zu beschreibende) Jirgal-Schule mit den Vor-Vorbildern Hölderlin, Ernst Jünger; im Literarischen sind es neben Rilke Franz Kafka und moderne französische und amerikanische Prosaisten; Eisenreich hat ungemein mehr Kenntnis von der internationalen modernen Literatur als Polakovics; er ist unser einziger "echter" Prosaist, sein Prosastil freilich bewegt sich zwischen den Polen Jünger-Jirgal (herbe (Preziosität) und Kafka (Atmosphäre); Eisenreich kann sich übrigens wegen Zeitmangels nur selten unserer Gruppenarbeit widmen.

Den mitt "linken" Flügel vertreten Artmann und Altmann.

Unter der Flagge des Surrealismus (die Flagge mißbrauchend) betreiben sie eine formverachtende, automatismusnutzende, romantisierende Dichtkunst; Artmann dem Märchen und dem Wandern verbunden, dem Esoterischen und dem Fremdsprachigen; seine Gedichte sind damals ein Gemisch von echter sinnlicher Buntheit, von Phhantasiegestalten und bizarrer Wortkunst; Altmann er hat fast kein Engagement und gar keine keine philosophischen Ambitionen; Altmann ist formal und substantiell weit schwächer; als wir ihn kennenlernen, schreibt er noch elfenreigenhafte zuckrige Kitschgedichte mit schwachen surrealen Verfremdungseffekten; bald wendet er sich unter Eliot- und Elauard-Einfluß der Beschreibung des Schalen und anderern sozial-kritischen Motiven zu; die beiden Autoren haben den Ehrgeiz, das was sie anfangs unter Surrealismus verstehen - alles nach Eisenreich "zuchtlos" Moderne - in Österreich durchzusetzen; so fallensehen auch ihre Entscheidungen bei der Gestaltung der NW aus; Artmann stammt aus ärmsten Verhältnissen und ist Autodidakt vieler Sprachen und Literaturen; er hat vermittelt uns die Artmann, der in Don-Quijote-Pose lebt, von Altmann, seinem Sancho Pansa, begleitet Kenntnis vieler Autoren, die damals in Österreich fast unbekannt und unzugänglich sind: Eliot, Eluard, Ramon Gomez de la Serna, deutsche Expressionisten uva.u. v. a.; die beiden Autoren sind Bürgerschrecke und suchen sich auch so zu benehmen.

Den "mittleren" Flügel schließlich bilden Kein und ich; Wwir sind gegen den Konservativismus der Rechten wie gegen Romantizismus und Infantilismus der Linken; Kein schreibt Lyrik und lyrische Prosa in der Nachfolge Trakls, aber zu pessimistischem Realismus und Sozial-anklage neigend; er ist bedächtig, von vernünftigem Urteil und eine stetige Bremse für Begeisterungen.

In den folgenden Wiochen, einem Wirbel von Zusammenkünften, zeichnet sich unsere Aufgabe ab: Lyriklektorat; vorerst (ab 14.2.) Bewältigung eines riesigen redaktionellen Rückstandes - Begutachtung vieler Ordner voll Einsendungen; später sollen wir die Lyrik für einzelner Hefte zusammenstellen und Lesungen veranstalten. (Dies geschieht.)

Durch den schulischen Charakter der Zeitschrift ist unsere Freiheit eingeschränkt. Die Redaktion steht bekanntlich unter dem Druck der Schulbehörden, auch der Lehrer und Elternvereine, und gegen unsere Urteile steht ihr das Vetorecht zu. Unser Nein wird fast immer anerkannt, unser Ja öfters verworfen: wenn erotische Anspielungen, krasser Re- oder Irrealismus den Redakteur in ängstlicher Laune antreffen.

Am 3.2.

sucht uns Erika Danneberg in den Einflußbereich ihres Gatten, des PEN-Club-Funktionärs Hermann Hakel, zu ziehen. Hakel, der sporadisch eine traditionsbedachte Zeitschrift herausgegeben hat, hat eine bedeutende Gruppe junger Autoren um sich gesammelt; die Gruppe dürfte sich damals schon verlaufen haben; zu unserer Gruppe sind hiervon nur Danneberg und Eisenreich gestoßen. Dannebergs Werbung für eine Art Klassik-Seminar stößt uns in ihrem Akademismus ab; wir zeigen xDanneberg die kalte Schulter, und die Autorin verläßt den Arbeitskreis.

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Ab21.2.finden in Redaktionsräumen der NW regelmäßig Sitzungen des Arbeitskreises - jeden Dienstag spätnachmittags - statt. Die Sitzungen sind allen Interessierten zugänglich. Unds imponierende Einsender werden eingeladen. Wirklich finden sich immer wieder Besucher; die Grenze zwischen ihnen und dem Arbeitskreis verwischt sich, und dies wie der gänzliche oder zeitweise Abgang einzelner Autoren führt zu der erwähnten Fluktuation unserer Gruppe. Auch Sondersitzungen und zahlreiche private Treffen gibt es.

25.2.

Lesung vor Freundesn des Hauses, veranstaltet von der Redaktion ohne unser Mitspracherecht; Beiträge unterschiedlichen Niveaus, darunter mein PROLOG ZUM WEIHNACHTSFEST.

14.3.

Die Aufgaben des Arbeitskreises erweitern sich auch auf die Prosaeinsendungen junger Autoren.

28.3.

Zwei nennenswerte Neuerwerbungen der Gruppe: die modernistischen jungen Autorinnen Helene Diem und Elfriede M. Hauer. Hauer wird später offiziell Arbeitskreismitglied. Zweimal findet bei ihr eine Lyrik-redaktion statt.

Anfang April:

Eisenreich eröffnet mit Essay "Surrealismus und so" Polemik gegen unseren linken Flügel, der damals unter Artmanns Führung nur Altmann und Diem vereinigt und außer Diem keine echten Surrealisten hat. Eisenreich wirft den "Surris" Nachahmung überholter Literaturpubertät vor, Verantwortungslosigkeit und Sprachunzucht. Damit hat der "Bürgerkrieg" begonnen. Die Linken werden zur Clique, mit privaten Zusammenkünften und Bürgerschreck-Attituden und mit abnehmendem Interesse an dem Gemeinsamen der NW. Polakovics schließt sich lose der Eisenreichschen Haltung an. Kein repräsentiert die unabhängige Mitte in Ruhe, ich tue desgleichen in einem Zickzack der Polemik.

2.5.

Dichterpädagoge Ernst Jirgal, Mitarbeiter des Seniorenteiles der NW, veranstaltet öffentliche Eisenreich-Lesung. Jirgal, eleganter Geist, Kosmopolit, Meister der Zusammenschau, der Wichtigkeit "Größe unserer Zeit" bewußt, sprachlich Hölderlin verpflichtet und Ernst Jünger, in elliptischem, neuprägerischem, verfremdendem, aber aber klassisch-zuchtvollem Stil schreibend, (manchmal wirkt es stlelzend) ist Lehrer eines Kreises junger Autoren und Pädagogen, die minderwenig bedeutend sind. Jirgal sympathisiert mit unserer Gruppe aus weiter Entfernung. Außer Eisenreich gibt es nur eine schwache Osmose der beiden Kreise.

5.5.

Einzige öffentliche Lesung der jungen NW-Autoren en bloc, von Polakovics zusammengestellt, alle Richtungen und auch gruppenferne Autoren einbeziehend. Beachtliches Niveau. Von mir: ERGO SUM, DIE ZEITKRANKHEIT, AN EINEM ABEND IM VORFRÜHLING.

Durch diese Lesung wird die Presse, vor allem der Kritiker Hans Weigel, dessen Glossen in der "Welt am Montag" fast krausischen Ruf haben, auf uns aufmerksam. Viel ändert sich freilich an unserem Ausgeschlossen-sein aus dem literarischen Betrieb nicht. Einige junge Autoren des Cafe-Raimund-Zirkels um Weigel (meist frühere Hakelianer) nehmen lose Verbindung mit uns auf; Weigel weist noch mehrmals auf uns hin.

Anfang Mai:

Der linke Flügel konstituiert sich als "Der Keller" (Analogie-bildung zu den ärmlich improvisierten aber erfolgreichen "Kellerbühnen"). Der Keller tritt nicht aus dem Arbeitskreis aus, sondern bildet eine Art Untergrundbewegung. Die Mittelgruppe ist dem Keller literarisch assoziiert, nimmt aber an diversen Privattreffen und Herausforderungen der Öffentlichkeit nicht teil. Der Kontakt der Mitte mit dem rechten Flügel leidet nicht.

Der richtungsungebundene Hanns Weißenborn, mehr ethisch als ästhetisch ambitioniert, (schon März 1948 Mitarbeiter der N.W. gewesen, bei der Arbeitskreiswahl durchgefallen, nimmt vermutlich jetzt Kontakt mit uns auf und wird später auch Arbeitskreismitglied.

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Anfang Juni sind er und Hauer Mitglieder des eigentlichen Kellers. Bald schreibt W. dünne optimist. "surr." Gedichte.

4.6.

VP-Nationalrätin Nadine Paunovics beschwert sich über die Aufnahme meines Gedichtes DU WILLST MIT MIR FLIEHEN ... in die NW. Auch sonst regnet es von bürgerlicher Seite Proteste gegen junge Autoren. Man bezeichnet uns als "Schmutz und Schund". Aber auch Kommunisten attackieren uns, wegen "Unverständlichkeit und Pessimismus".

Revoluzzergefühl befällt uns, unabhängig von unserer Richtung und immer wieder die Flaute durch-brechend. Polakovics nährt es von der Erinnerung an einen von ihm angezettelten Studentenstreik; der Keller (im weiteren Sinn) nährt es von Résistence-Reminiszenzen aus der Zeitschrift PLAN ,, und von den Vorstellungen der surrealistischen, existentialistischen etc Revolutionen, die wir uns mächtiger als sie wahrscheinlich waren denken. Selten merken wir, wie klein unser Publikum, unser Zustrom und Einfluß sind.

6.6.

Die Fronten sind erstarrt. Der Keller läßt sich auf kein lockerndes Gespräch ein. mit der Rechten ein. Bei den Zusammenkünften des Arbeits-kreises nehmen die Kellermigtglidereder von der Arbeit der anderen oft keine Notiz.

Anfang Juni:

Gerhard Fritsch, dessen Gedichte wir schon seit äMärz schätzen, besucht uns als Abgesandter der Jugendsektion des Schriftstellerverbandes. Wir lesen in diesem Kreis einmal ein paar Gedichte (14.6.), dann erlischt der Kontakt, aber Fritsch verbleibt sich unserer Gruppe ein.

Mitte Juni:

Anscheinend Umstellung auf Ferienbetrieb: Sitzungen ohne Pensum und mit wenigen Teilnehmern; Blödeln und maue Gespräche. Eisenreich plant Almanahch unserer und einiger anderer Autoren ohne die Linke. Titel: "Wege". In den folgenden Monaten gibt es - verstreut - viel Arbeit damit. Der Almanach scheitert an fehlendem Interesse der Einflußreichen; letztlich wohl an Konkurrenz von Weigels "Stimmen der Gegenwart".

Juni/Juli:

Eisenreich ist mit Malern des Art Club bekannt und stellt erste Kontakte zwischen ihnen und uns her.

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Einfluß des NW-Betriebs auf mich Hauptlinie

Von vieleneiner Flut liter. Einflüssen werde ich betroffen. Ich wahre aber meine Hauptlinie, festige sie, bereichere sie assimilatorisch und suche sie gegen die anderen Autoren durchzusetzen. Meine Wirkungsanalyse nunmehr fast ohne Niederschrift bewährt sich im dem Ansturm der Flut von Effekten Durch Lektüre erneuere ic oder vertiefe ich Eindrücke meiner alten Vorbilder: Whitman, Eliot, Toman ... Neu hinzukommt am 7.3. (wie so vieles: durch Artmann) Klabund mit dem Vers-Epos "Marietta", dessen Übermut- und Überraschungseffekte mir zur Belebung des Dichtens, besonders im Zeigen positiven Zusammenlebens, dienen. Wichtig für mich ist die Konfrontation mit Polakovics: Einerseits vertieft er durch seine malerische Erfahrung auf Spaziergängen meinen Blick für das Differenzierte der Bezirke, der Jahres- und Tageszeiten (in seine Gedichte ist dieses augenhafte nie eingegangen); Zweitens ich fühle mich manchmal versucht, Aquarelle zuAquarellezu malen; (seine Gedankenlastigkeit bewirkt sein zerstörerisches Grübeln bewirt, daß in seine Gedichte dies Augenhafte nie eingeht; und kaum hat er mir das intensive Sehen schmackhaft gemacht, verschließt er sich vor der Natur und verabscheut sogar Spaziergänge). Zweitens erschließt mir Polakovics eine Menge feiner sprachlicher Reize (Melodik,Zartheiten, Bedeutung der Vokale etc), an Hand der von ihm verhe verehrten Rilke, Weinheber u.a.; zur Bereicherung meiner Ausdrucksskala sind mir diese Mittel willkommen; ohne daß ich mich mit den Meistern wirklich befreunde. Allerdings beziehe ich solches Material, die Wirkungsanalyse fortsetzend aus allen möglichen anderen Quellen ebenso, ) auch aus mittelmäßigen Einsendungen.) Drittens .. sieht Polakovics menschliche Probleme anders als ich. Er glaubt an unentrinnbareveränderliche Einsamkeit selbst in den engsten Beziehungen. Seine Gedichte behandeln in vielen Varianten das "tragische Subjekt", das allem anderen gegenübergestellte Ich; seine Sehnsucht lebt, verdeckt von Grimm, Unerbittlichkeit, Härte, ja Verkrampfung. Aber er lobt - und beneidet - mich für die Haltung meiner Gedichte, in denen "auch, wo Ich gesagt ist, Wir gemeint ist", er und nichtderen Anklage .. nicht. uUnveränderliches tragik sondern vermeidbare Veränderl.es Mißstände betrifft. Dieses Lob spornt mich an, meinen weltverbundenen Zug zu forcieren, der NT, Lebensfreude und Nachfolge Whitmans zusammen-schließt. Mit Polakovics habe ich mich zur zögerlich befreundet; da er "schwierig" ist, affektbestimmt, verkrampft und welt lebensanschaulich mir recht sehr fremd, kommt es wohl zu intensivste äußerst häufigem Kontakt, aber nie zu wirklicher Freundschaft. Unsere Versuche, einander die Gedichte zu ändern, scheitern natürlich.

In der Zeitschrift "Plan" beeindruckt mich Erich Fried mit seinen suggestiven Spracheffekten, seiner Rhythmik, Vokalik, Kombinatorik, Zyklik. Auch diese Mittel nehme ich, ohne mich weiter zu verpflichten, an. Im Juli lerne ich bei Frühling lerne ich abstrakte Malerei kennen; deren Elemente künstliche Gegenständchen gehen neben vielem anderen in meine Texte ein (erst in folgenden Perioden bekommen sie für mich mehr Bedeutung).

Das Das von Artmann zur Mode bei der Linken gemachte Hokku fällt bei mir gleichfalls auf fruchtbaren Boden; freilich hüte ich mich, einfach Hokkus zu schreiben; aber die Hokkugesinnung geht in viele meiner Landschaftgedichte ein.

73 Der surreale Bereich

Der Einfluß dieses Bereichs, in dem sich, wie schon gesagt, vieles Pseudo-Surreale befuindet,x) Bald stellt Artmann richtig: was weder was er, noch was Eluard, am wenigsten was Altmann treibe, sei orthodoxer Surrealismus. ist stark. Gründe für meine Aufgeschlossenheit ihm gegenüber sind: Bereitschaft Vorurteile aufzugeben; tiefenpsychologisches Interesse; Wunsch meine Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern; Bürgrer-feindlichkeit.

17.1.

Der Vers "Sonne tanzt Walzer mit Nachbars Schwein" aus einem harmlosen Gedicht, der bereits Unruhe unter den Lesern gestiftet habe, wird bei der Tagung als "surreal" diskutiert; er und der Beschluß, den Surrealismus zu tolerieren, erwecken mich für das surreale Anliegen. Ich erkenne, daß hier Mittel, bisher Unerfaßtes aus der Assoziatorik zu erfassen, und Möglichkeiten karrikaturen-hafter Super-Charakterisierung liegen.

26.1

Nach Selbstversuchen begrüße ich den Halbschlaf als Extrem der intuitiven Methode zur Auflockerung und Fluidisierung. Seither befasse ich mich öfters mit der Psychologie minderbewußten Schaffens.

1.2.

Begrüße grundsätzlich die ersten mir zur Kenntnis gelangten "surrealen" Gedichte Alt- und Artmanns, lobe ihre Atmosphärik, obwohl ich die Schwäche Altmanns, seine "Poesie" alter Mode, erkenne; bei Artmann lasse ich die Möglichkeit offen, seine Interpunktionslosigkeit und Kleinschreibung können Manierismus bedeuten. Die Gedichte der beiden Autoren sind von Eluard beein-flußt, dessen Stilmittel (inkohärente Sätze, surreale Wirklichkeits-brechung, Verfremdungseffekte) ich dadurch kennen- und nutzenlerne.

8.2.

Trakl-surreale Gedichte Ernst Keins bereichern die surreale Palette unserer Gruppe um irrlichtige Landschaftschilderungen.

17.2.

Erkläre einen undekadenten Surrealismus für möglich und beziehe den Surrealbereich in meinen weitherzigen Realismus ein. Altmann legt sentimental-sozialkritische Gedichte vor; die Kreuzung von Sozialkritik und "Surrealismus" gewinnt meine Sympathie.

23.2.

Artmann zeigt Gedichte voll verfremdeter Landschaft-Idyllik und Märchenfiguren; Landschaftbeziehung und Atmosphärik des Details gefallen mir; das Märchenhafte mag ich nicht. Artmann lehrt mich auch De la Sernas Greguerias und möglicherweise schon damals die Phantasmagorien kennen. Beide Arten übt er intensiv. Die aparte Art, Witze zu reißen, imponiert mir; freilich sehe ich in diesen Gattungen auch Mittel zur subtilen Aussage. Serien gregueresker Karikaturen werden übrigens von Art- und Altmann als "personaggi" gemacht; karikiert werden Spießer, Mitautoren und alles mögliche sonst. Auch in einer flämischen Lyrikanthologie fallen mir surreale Elemente auf.

28.2.

Auch Kein - in Lyrik und lyrisierender Prosa - demonstriert Sozialkritik mit surrealen Elementen.

7.3.

Artmann zeigt mir Klabunds Vers-Epos "Marietta", in dem mich auch surreale Elemente faszinieren. Gütersloh-Vortrag informiert unsere Gruppe über den Unterschied von irrer und surrealer Bildkunst; ich sehe wohl erstmals mit Verständnis surrealistische Bilder; diese Bilder in ihremr Makabrität mißfallen mir aber jenseits der Frage "Surrealismus".

74
12.3.

Zeichne eine Art surrealer Personnagi von bekannten Mädchen. Naturalistisches Zeichnen dürfte erloschen sein.

17.3.

In Labordiskussion bemühe ich mich, mir über die Legitimitätd des Surrealismus klar zu werden.

18.3.

Alte Idiosynkrasien von Buchstaben und Mädchen, sehr atmosphärisch, fördere ich im Halbschlaf zutage und schreibe sie nach Personnagi-Art auf. (MÄDCHEN; ANDERE MÄDCHEN.) Dies fällt für mich unter psycho-logische Versuche, nicht Gedichte. Artmann aber ernennt mich zu unserem einzigen Surrealisten und stellt mich in eine Reihe mit den "großen Surrealisten" Celan und Mayröcker. Ich wehre mich aus Anstand und Richtungsbewußtsein. Artmann will mit meiner Hilfe einen mitteleuropäischen Surrealismus kreieren. Lerne erste österreichische Avantgardezeitschrift PLAN (damals schon eingegangen) kennen, im besonderen Celan- und Mayröcker-Gedichte (M: "Jesus wird orangefarben getauft").

19.3.

Schreibe die erste Greguerias. Meine G.s gliedern sich in oberflächliche lustige Einfälle und heraufgeschöpfte alte Subjektivis Idiosynkrasien und andere Subjektivismen. Am 21. folgt meine Abart der Personaggi, die CHARAKTERISTIKA, mit ersten Exemplaren; sie dienen meiner üblichen Polemik. Beide Gattungen der Serna-Kunst pfege ich längere Zeit hindurch, als Nenbenlinie meiner Produktion.

21.3.

Distanziere mich neuerlich vom Ungesunden des französischen Surrealismus, bezeichne mich aber cum grano salis selbst als Surrealist. Artmann, dessen Fabelsüchtiges, aber auch zunehmend Formspielerisches mich befremdet, gebe ich an diesem Tag eigentlich auf, als er sich für das Barock ausspricht.

Mitte März: Lerne in Heledne Diems Gedichten den bisher echtesten Surrealismus außerhalb meiners "wissenschaftlichen" kennen.

23.-25.3.

Die Reaktion auf meine allzuflotte Annäherung an unsere Surris tritt ein: Ich fürchte meine Vergschnasung im Zeichen Artmanns. Bald öffne ich mich aber wieder dem Einfluß. Diese Dialektik wiederholt sich mehrmals in den folgenden Monaten.

1.4.

VVALTMON ERRA: erstes tendenzloses, rein visionäres Surrealgedicht.

4.4.

Wieder einmal stelle ich mich über die Stile.

11.4-16.4.

In meiner Replik gegen Eisenreich APOLOGIE OHNE SURREALISMUS distanziere ich mich von dem soeben kennengelernten destruktiven Bretonschen Manifest, bekenne mich aber zu surrealem Dichten als einer Komponente des synthet. Stils und verteidige unsere Linke.

13.4.

Präge den Ausdruck "gerichteter Surrealismus" für ideengesteuertes minderbewußtes Improvisieren. Erster (als wissenschaftlich ausgegebener) Versuch dieser Art, dem am 14. und 19. weitere folgen; alles im Halb-schlaf. Später erweitere ich die Methode - mit geringerem Erfolg - auf den Wachzustand. Unterschied von dem mir gewohnten Dichten mit surrealen Elementen: beim Dichten Kontrolle souverän, beim gerichteten "Wortsalat" Kontrolle am minimalen gerade noch wirksamen Wert. Es liegt vielleicht an der Thematik (Kontrast erwünschten und verdammten Mädchentyps), da,ß das "Richten" die Schönheiten des U-Gewächses enstellt: Dick-Auftragen, Symbolisieren.

Zu unterscheiden sei: 1) Bildheraufschöpfen aus dem Unterbewußten und 2) Wortsalatmachen. Ich finde Methode 1) packender und diesen Effekt wichtiger als den "Automatismus", den eher 2) gewährleistet.
20.4.

Verfasse Resolution für den NW-Surrealismus. Revoluzzer zu spielen, macht mir Spaß. Meine Unabhängigkeit vom linken Flügel aber gebe ich nie auf. Dieser Unabhängigkeit dient auch mein Betonen des bloß wissenschaft-lichen Charakters meiner minderkontrollierten Improvisate. (Artmann ist antiwissenschaftlich eingestellt.) Im folgenden "Bürgerkrieg" der NW ekelt mich die linke Clique mitunter an; mit den Einzelnen, vor allem Artmann, allein kann man weiterhin relativ vernünftig reden.

2.5.

Suche Helene Diem in meine Surrealforschung einzuspannen.

75
6.6

In dieser Zeit improvisierte Kritzelzeichnungen mit Freunden und mutuelles Wortsalatdiktieren; das letzte zwar persönlichkeits-bezeichnend, aber zu künstlich.

9.6.

Im "Plan" wiedergelesenes Gedicht "En passant" regt mich zu mehreren experimentellen Gedichten an. Im "Plan" auch als halbsurreale Lyrik.

17.6.

Artmanneske Abweichung von meiner Linie: Phantasmagorie VOM MELEK, tendenzlos; im übrigen dulde ich Phantasmagorien nur in der "wissen-schaftlichen" Mappe.

27.6.

Verfasse Voorrede zu geplanter "Keller"-Zeitschrift. Freue mich, revolu-tionärer als die Keller-Leute zu sein.

2.Julihälfte:

Surrealistische Illustrationen zu The Waste Land gezeichnet; dazu ein "positives" Gegenstück.

28.7.

LIEBLOSE KREISE, lyrische Paraphrase über Altmann, bestrebt, sein Brauchbares, das sich neulich wieder einmal manifestiert hat, meiner Dichtung einzuverleiben; der Text bleibt ein Bastard.

76
Seitenweg Jirgalschule
11.4.

Beginn meiner Besuche bei Eisenreich. E., der mir zunächst nur Gegner ist, wird für mich dank seiner menschlichen Substanz, seiner relativen Aufgeschlossenheit und sprachlichen Reizen, die er mir vermittelt, zu etwas .ähnlich Ambivalentem wie unsere Surris. Wie Polakovics, istscheint mir Eisenreich das geeignete Gegengift gegen die von Artmann drohende Vergschnasung. Eisenreich symbolisiert mir klärendes Denken, menschliche Verantwortung, protokollarischen, knappen, nichtwuchernden Stil.

Hinter Eisenreich steht freilich Jirgal, der mich manchmal schon flüchtig mit seiner Sprechkunst angezogen hat. (Polakovics zieht übrigens seine Sympathie von der Jirgalschule und Eisenreich bald ab.)

Im "Bürgerkrieg" der NW dramatisiere auch ich die Situation: ich fühle mich zwischen den Einflüsse mir wesensfremden Einflüssen Artmann und Jirgalschule wie zwischen Scylla und Charybdis einen katastrophalen Zickzackkurs beschreiben. Das ist indessen Hypochondrie und Koketterie.

2.5.

Eisenreichlesung bewirkt erste Jirgalinfektion in meinem Dichten. Anwandlungen, Jirgalstil zu schreiben ("..." mittlerweile das abgeworfene Fleisch wirbellos fault anderswo ..."), befallen mich seither einige Male; in dem vorliegenden Zeitabschnitt ist die Rolle dieser Unart trotzdem ganz peripher.

6.7.

Eisenreichs Dampfkessel-Skizze aus "Tage und Träume", eine Kreuzung von Ernst Jünger und Kafka, zeigt mir neue Erzählungs-Perspektiven. Kafka selbst kenne ich da noch nicht. GELOCKERTE STRUKTUREN und einiges andere sind das Ergebnis der Bekanntschaft. Das solcherart Protokollarische, mir affin, geht als echte Assimilation in meine Bestände ein und tritt längere Zeit gern, mit Phantasmagorik via Artmann abgeschmeckt, zutage. (Artmann kann Kfafka sowie die ganze Jirgalschule nicht leiden.) GELOCKERTE STRUKTUREN und ei sind die erste Reaktion.

Jirgals Distanz uns gegenüber trägt viel zu seinem Reiz für mich bei. In dem ganzen Zeitraum bleibt mir die persönliche Bekanntschaft mit ihm vorenthalten.

77
Richtungs-Sicherheit und -Unsicherheit

Meiner welt- und dichtungsanschaulichen Sicherheit (NT, Synthesegefühl, Frontbewußts., dichterischer Instinkt; Erlebnisentsprechung als einziges ästhetisches Kriterium) zum Trotz falle ich oft Anfechtungen derjenigen heim, die von meinem Unrecht sprechen heim. Sie sind nicht imstande, mich von meinem Weg abzubringen, wohl aber, mich für eine Weile mundtot zu machen, zum Grübeln zu bringen, von Nützlichem abzulenken.

Die Ursachen sind: Respekt vor der Meinung des Anderen; was andere so überzeugt vorbringen, muß doch Richtiges enthalten!; Gewissenhaftigkeit; hypochondrische Angst, formalistischen Einflüssen anheimzufallen, im Gschnas zu enden, die Ehrlichkeit Schlichtheit zu verlieren; Liebäugeln mit der Volkstümlichkeit; Verständnis für viele (den synthetischen Stil notwendigerweise bekämpfenden) Einzelrichtungen; Weichheit des unerfahrenen Kämpfers; Einsicht vieles nicht ausdrücken zu können.

Da gibt es die schon erwähnten Abblitzungen durch die Kommunisten. Polakovics' Behauptung, ich sei für einen Lyriker zu gescheit; in diese Kerbe schlägt ein konservativ eingestelltes peripheres Arbeitskreismitglied, das vom Gedicht Stille verlangt und meine Art Lyrik als Rrationalistisch áà la Romantik verurteilt; (ich grüble und finde, daß die Benutzung des Verstandes, wenn man einen hat, keine Schande sei; nur mit dem Verstand gegen das Gefühl vorzugehen, sei schlecht; dennoch falle ich später manchmal in diese Problematik zurück.) Da gibt es viele Vorwürfe dervon "Formlosigkeit" und "Unverständlichkeit", dervon "im Negativen bleibendenr Polemik"., von "Zynismus".

Meinen Gedichte, die "lebende" Beispiele für eine Idee bringen, etwa das "hellgrüne Blatt" in der BLAUEN DISSERTATION für den Le vital-evidenten Weltsinn, werden als symbolistisch mißverstanden; als sei das Bild nicht wörtlich zu nehmen; im allgemeinen: als sei hinter meiner Dichtung ein schwer zu dechiffrierender Sinn versteckt; diese Zumutung geht mir als altem Realisten und Antisymbolisten besonders nahe.

Da gibt es Mahner gegen die Revolution und für die Lebensweisheit: Beschwichtiger, Verniedlicher, Leute die uns in den harmlosen Humor abdrängen wollen.

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Lebensatmosphäre

Der Betrieb um die "Neuen Wege", Naturerleben, erotische Frustration und Ausdrucksdrang bestimmen mein Lebensgefühl in dieser Zeit, im Grunde ein kaum je wiederholtes Hochgefühl, Objekt meiner Sehnsucht später oft. Ich bin mir der Schönheit dieser Zeit schon damals bewußt.

Meine Hoffnung, daß die Isolation aufhöre, hat sich durch die NW-Kontakte erfüllt. Außer den offiziellen Redaktionstreffen komme ich sehr viel mit Artmann, und Polakovics u.a., zusammen (manchmalWochen hindurch verbringe ich den ganzen Dienstag-nachmittag und das ganze Wochenende beimit Freunden). Es gibt Re Arbeitskreis-sitzungen in meiner Wohnung. Artmann, der isoliert, in Don-Quijote-Pose, nur von Altmann, seinem Sancho Pansa, begleitet, dahingelebt hat, ist von den neuen Kontakten ebenso begeistert wie Polakovics und andere.

Ein begeisterndes Engagements-Gefühl wie in den Anfängen der KG, nur durch die Art der Arbeit ungleich substanzreicher, bewegt mich.

Die Lektorarbeit macht mir Spaß: ich bin bereit, an Fehlern und Reizen jedes Gedichtes zu lernen, an jedem Text mein Urteil und meine Formulierung zu schärfen. All die neu kennengelernte Literatur und das Teilnehmen an der Entwicklung der Freunde berauschen mich. Und fast täglich kann Neues auftauchen. Andererseits spornen mich ihre aufgeschlossene Kritik im Detail und ihr grundsätzliches x während der ganzen Ära anhaltendes hohes Lob, für meine Persönlichkeitdas mich zum Genie ausruft, ebenso wie die neuen stilistischen literarischen Möglichkeiten, der Wettbewerb und die Publikationsmöglichkeit zu fieberhaftem Produzieren an.

Anfeindungen von außen und die Spannungen aus der Spaltung unserer Gruppe aktivieren mich ebenso. Ich fühle mich als Bürgerschreck.

Meine alte Abscheu vor Bürgerlichem wie: Versumpern, Prüderie, verbrämtem Lebensmaterialismus, Jugendfeindlichkeit, Schöngeistigkeit, politischem Konservativismus, Konvention, oberflächlichem gemeinplätzigem Urteil, erotischer Resignation: verbindet sich mit Argumenten aus der literarischen Avantgarde.

Ich bekenne mich zur modernen Kunst, teile den Zorn meiner Freunde gegen: Akademismus, Verständnislosigkeit, Kitsch, oderbeschwichtigende Abgeklärtheit. Die aufbruch-begeisterten Jungliteraten aus Zweigs "Die Welt von gestern" sind mir ein Vorbild. Ich behalte meine dynamische, aggressive Pose bei, steigere sie noch. Ich schreite rasch aus, mit schräggehaltenem vorstoßendem Kopf wie ein Bock, die Manuskripte in mächtiger Aktentasche stets bei mir wie eine Sprengladung, verfeinde mich um irgend einer abstrakten Sache willen (weil sie mir eben nicht abstrakt ist), brüskiere Menschen, die eine andere Ansicht über Stil oder Liebe haben, durch frostigen Gruß oder grußloses Fort-Rennen, verlasse auf solche Weise auch Debatten und laufe aus stürme mitten aus ärgerlichen Kinovorstellungen, auf der Straße den Zorngang noch lange fortsetzend.

So aktivieren mich naturgemäß auch Anfeindungen von außen und die Spannungen aus der Spaltung unserer Gruppe. Nur technisch bedingte Arbeitpausen und psychische Stagnationen der Gruppe (etwa als sich "Der Keller" von ernstem Gespräch zurückzieht oder manche Grenzen des Verstehens mit einzelnen Freunden fühlbar werden) deprimieren mich; dies aber empfindlich; dann versuche ich, immer an den xx Arbeitskreis als etwas Begriffliches wie eine Heimat glaubend, zu vermitteln oder anzukurbeln.

Ich bin traurig, wenn ich merke, wie unbeachtet unsere Revolte verläuft. Ich habe Angst, daß wir in schalem Salonbetrieb münden könnten, verabscheue Lesungen unserer Gedichte durch Schauspieler.

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Vorfrühling, Frühjahr und Sommer bringen viele exemplarische Tage schönen Wetters. Ich spaziere viel und arbeite gern beo ii offenem Fenster, viele meiner Gedichte sind Improvisationen der Fensterschau.

Den Wechsel der Jahreszeiten - und deshalb auch die Feste - erlebe ich bewußt. Sehnsucht nach dem ebenen Land befällt mich, aber auch die Idyllen der Stadt schätze ich. (Etwas anderes ist die Polarität Land-Stadt im Symbolbereich, für Natur-Unnatur stehend; so betrachtend, schimpfe ich freilich die Stadt und lobe das Land.)

Polakovics, der Maler, lehrt mich viele Details der Natur erst sehen; vieles finde ich in fremden Gedichten; eigenes Dichten verwertet meine neue Beobachtung und steigert sie.

Umsomehr fehlt mir die Gefährtin. Die alte Wetter-Mechanik funktioniert wie nie zuvor: wieder halte ich an schönen Tagen Ausschau aufnach Mittel-Schülerinnen, *) mit Mittelschülerinnen bezeichnet man in Österreich damals Gymnasiastinnen etc. (also Austrittsalter 18 Jahre) wieder suggeriert mir die schöne Jahreszeit die Vorstellung vieler Möglich-keiten gemeinsamen Weltgenusses.

Spaziergänge mit Freunden, voll entdeckerfreudiger Gespräche, sind ein schwacher - dennoch in späteren Jahren sehnsüchtig erinnerter - Ersatz hierfür. Fehlt auch dieser Ersatz, bin ich traurig.

Im Spazieren mit Freunden scheint mir die füllige Welt doch etwas besser genutzt als wenn ich allein spaziere oder gar zuhause sitze; die li zukunftbezogenen literarischen Gespräche trösten mich wieder, sodaß auch diese beschränkt freudevollen SpaziergängenSpaziergänge in späteren Jahren Sehnsuchtziel werden.

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Schreiben

Auf die Flut von Eindrücken und literarischen Einflüssen reagiere ich mit einer von Flut von Texten. Ich arbeite an einem imaginären Werk ohne praktische Erwägungen und Einteilungen, für den idealen Leser, den ich mir nicht allzu unwahrscheinliche als allzu unantreffbar vorstelle., aber auch zur Befriedigung meiner eigenen Neugier, wie es weitergehe.

Neben den schon dargestellten entscheidenden Einflußbereichen wirken viele minder bedeutende auf mich. Geradezu alles muß ich durchprobieren, sogar althergebrachte Stilmittel wie die Sonettform, Formalistisches wie univokale Gedichte; selbst langverdaute Literatureindrücke, wie Trakl, Verhaeren ziehe ich heran, um nun erst ein, zwei Gedichte in ihrer Art zu schreiben. Nur bewußt falsche Meinungen mir falsch erscheinende Meinungen und eine gewisse altmodische Feierlichkeit erprobe ich nicht.

Mancher Text trifft verständlicherweise daneben, oder seine Mängel überwiegen. Dennoch ist die Produktion dieser Zeit das Zentrum meines lyrischen Werkes, quantitativ wie der Arbeitsgesinnung nach.

89
Schreiben

Unmittelbar nach der Tagung vermerke ich, daß aus der Schreib-Krise des 2. Halbjahres 1949 gestiegen sei. Antiformalistische Gedichte 19., 20.1.: ACH, ICH GRÜSSE DEN SACK; ENTGEGNUNG 1, 2; EINEM WORTSCHLEIFER GEWIDMET u.a.

22.1. ENDLOS DUFTET VON DEN LINDEN; 4-f. Troch.; Trakleinfluß ("Endlos duftet von den Linden längs der Mauer Tages Ende ...", "Wolkenlose grüne Stille heute morgen übermorgen ..."), mit Mädchenwünschen und erotokritischer Polemik verunreinigt.

Datumnahe: ZUM SCHNEEFALL AM ... Harmloses gereimtes Gedicht ohne landschaft-liche Atmosphäre.

25.1. ZEHN SEKUNDEN UNTERBEWUSSTSEIN, rhythmisiertes Prosagedicht nach Idee aus früherer Ära. Spitzbübisches, oft plumpes Vergnügen am Assoziationen-lauf. Expressionistische Formulierungen.

1.2. DIE ZEITKRANKHEIT; erstes zeitkritisches Gedicht unter Tomaneinfluß, prosaakzentuiert, kurz, ein einziger Satz.

3.2. SEINE ANTWORT - "Antwort", gegnerisch, auf ein Liebesgedicht von Gertrud S.; in der gleichen ausgeklügelten Form, eng an das Gedicht anknüpfend. Literarisch letztrangig. Innigkeit und meine Forderungen an die Liebe.

4., 5.2. WOLFSLIED 1, 2. Von Csokors Wolfslied unabhängig. Dynamische Reaktion auf Dannebergs Akademismus. 1.: simpel. 2.: etwas in den George-Stil schlitternd ("Doch äugst du anderem als wahrzubringen was du erfühlt, erdacht und vorgestellt ..."), Bekenntnis zur Weltfreude und zur Aufgabe, Fluida zu vermitteln; spezifizierte Beispiele.

5.2. Im Halbschlaf notierte "innere Impressionen": MÄDCHEN; NICHT MEHR GANZ JUNGES MÄDCHEN. 1.: Wunschbild, langjähriges Fluidum ("Schattig lauer Sommerraum, rot in absteigender Sonne, grün von einem nahen schweren Baum"), Einfluß Trakls und jenes Rimbaud-Zitates. 2.: Tüchlein-Substitution; Reiz Gertruds in ihrem Grenzalter, erotisch-wehmütig.

7.2. MOTALA MELODIE. In der Manier Burns' ein naives Liedchen, Mädchenwünschbild beschwörend, Polemik nicht lassend; Knüpfung dieser Inhalte an die schwedische Stadt Verarbeitung einer lange bestehenden Assoziation transrationalen Assoziation. Des Klangreizes im Titel bewußt.

8.2. MAJA NUEVA. (Siehe Gedichtanmerkung.) Iambisch. Sprungtechnik, Aussparungen. Erotokritisch. Prägnant. Bewußt des Reizes von fremdsprachigem Titel und Formulierung wie "Was will (!) das sagen?".

RECOMBINATION: Anspruchsloses Epigramm zur Bejahung des Augenblicks, zum Welt-harmoniegefühl; und Titel - Anspielung auf weltanschauliche Ergebnisse voriger Periode; zugleich Mädchenwunschbild.

8., 10.2. DAS FRÜHLINGSLIED FÜR INFINITA VERA. Erstes längeres Gedicht des neuen eloquenten Typus. Iambischer Einsatz, Fortführung unregelmäßig. Sprungtechnik. Fluiden-beschreibung, MädchenwWunschbild der Mitkämpferin, Sozialkritik. Sarkastische Charakterisierung, subj. Assoziationen benutzend. Forciert surreale Stellen einerseits, leichte Jirgalismen andererseits ("Man mochte ... merken"). Eluardsche Wortreihe am Schluß. ("Mitwollende Wilde Gelinde"). Behutsames SprachgGefühl für sprachliche Erotik.

9.2. DIE IN DER SACHE SIND ... Thema: Man vertut sein Leben zwischen Studium und Kunst. Knapp, aussparend, iambisch, geschlossenes Reimsystem. Immer wieder das Induktive, das vomn der Augenblickssituation ausgehende In-medias-res. Leichter George-Einfluß. Subtiles Sprachgefühl.

12.2. AUS DES TEUFELS BIEDEREM WÖRTERBUCH: Eine Serie vierzeiliger simpler Epigramme in forciert bürgerfeindlicher Gesinnung meine alten polemischen Themen variierend. 18.2. Ein weiteres Epigramm.

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17.2. DICHTERLESUNG. "Zeitkrankheit"-Stil mit konkreten Details verüppigt. Prosaakzentuiert, recht kurz. Beleg aus "lebendiger" Welt, nicht als Beleg zunächst vorgestellt. Zornstück gegen salonhafte Dichtauffassung. Whitmansche Universalität.

18., 19.2. Harmlose Scherzgedichte in Morgensternscher Manier: DER PUDDING SPRACH ...; EINE MESSERSPITZE SALZ; EINE TUBE HIMMELSBLAU. Wesentliches nur als Seitenhiebe untergebracht. Wendige, recht dichte Durchführung. 23.2. DIE WETTERVERSCHLE-: dünner. Einfälle zu weiteren Scherzgedichten (Dr. Grinse-Serie).

18.2. SONNENGESANG: Hexametergedicht, recht kurz. In-medias-res-Technik. Mann auf anderm Planeten betet ulkig die Sonne an, zu der unsere Erde nach einer H-Bomben-Explosion wurde. Sprungtechnik. Prägnant.

19., 20.2. AN EINEM ABEND IM VORFRÜHLING. Erstes eines neuen Typus von Gedichten: mit lockerem Versmaß, überwiegend gereimt, sprunghaft, im Plauderton, hingetupfte Impesressionen, etwas rhetorisch aufgelockert und mit Klang-wirkungen. Zum Vorbild diente mir nicht etwa Weinhebers "Die Pensionisten von eh und je", vielmehr der Prufrock-Beginn oder Brownings "Sitz und wach eine Stunde dort, die schöne Evelyne Hope ist tot ...".

Leicht traurige Melodik. Besonderheit: Von einrer Jahreszeit ausgehend Streifzüge in andere. Solche "futuristisches" Bild einer Landschaft meiner engen Umgebung wird in der Folge öfters gegeben. Diesenfalls korreferiert Schlechtwetter mit angedeutetem erotischem Weh.

20.2. EIN LEERES BOOT ...HokkuTankaähnliche Stimmungs-Suggestion, rhythmisch, durch ein einziges Reimpaar geschlossen. Irene darin festgehalten. Romantisches Motiv. DU WILLST MIT MIR FLIEHEN: Stil der "Zeitkrankheit". Scheitern Rromantischesn Wunschbilds mit romantischer Ironie gezeichnet. Man hat es mit Menschen zu tun, die an Kleinigkeiten festkleben.

21.2. Skizze zu bekenntnishaftem Gedicht; darin ich mich zum zausigen Vorfrühling bekenne. ("... Trotz allem keine kalte Jahreszeit. Meine Jahreszeit.") Selbstkritik wegen ENDLOS DUFTET zeigt, daß ich die Kinderkrankheiten dieser Ära hinter mich gebracht habe; von nun an halte ich Niveau.

23.2. VERSE, ALS MAXI GEISTREICH BLEIBEN SOLLTE: Im Zeitrkrankheit-Stil private Polemik (Auflehnung gegen meine Klassifizierung als "zu geistreich" für einen Lyriker).

Ende Feber/Anfang März: Spannungsabfall bringt Flaute. Übersetzungsversuch aus dem Ukrainischen. Versuch, Land- und Stadtfluiden heraufzuschöpfen (Keim des EINIGE-GASSEN-GANGES). 26.2.: Gedicht SONNTAGMORGEN STEINHOFER KIRCHE, Ab. i. Vorfr.-Typus, mit Verhaerenschen Breiten experimentierend, das Fluidum nichteintreffenden Frühlings in der SAtmosphäre betender Geisteskranker verfehlend; wegen des Themas und der nichtassimilierten Verhaeren-Technik sogleich als Nebenprodukt angesehen.

4.3.-7.4. "Zungezeig-Periode"

(bald von Klabunds Vers-Epos "Marietta" angefacht):

4.3. Gedichtschub in Reaktion auf Angriffe:

DIE BLAUE DISSERTATION: Infinita-Vera-Typus mit Weltfülle-Belegtechnik wie kin DICHTERLESUNG aufgebessert; Unterbringung alter Fluiden; Wunschmädchen-bild; Anliegen: In Weltfreude evidenter Lebenssinn führt modischen denkerischen Pessimismus ad absurdum; Seitenhiebe; man merkt, daß ich Gides "Von der Stillung meines Durstes" gelesen habe. Sprachliches und gedanklich-übermütiges Die-Bürger-vor-den-Kopf-sStoßen.

FABEL MIT MORAL: Erstes Dr. Grinse-Gedicht, gegen die Ablehnung des Unter-bewußten in der Kunst als pathologisch. Grinse hält sich an das Vorbild Palmströms.

EIN VOLTMETER: Didaktisches Gedicht in Tomans Manier. Inhalt: Gegen die Einmischung des Marxismus in über die Wirtschaft hinausgehende Bereiche.

5.3. ERSTE SONNENWÄRME: Abseits der Provokation liegendes landschaft-jahreszeit-landschaft-intensives Gedicht in KINDERTAG-Manier. Alte Eindrücke und Assoziationen mitverwertend. Übermut in Diktion unverhohlen: "Wenn nichts dazwischenkommt, ist bald Frühling".